Ohne Abitur an einer deutschen Hochschule studieren – Schon längst haben sich Hochschulen in Deutschland auf die Zielgruppe der Nicht-Abiturienten eingestellt und bieten erleichterte Zugangsbedingungen und spezifische Studienangebote an. Eine neue Studie des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) liefert nun Zahlen, Daten und Fakten zur Nachfrage nach dem Studium ohne Abitur. Die jüngsten Zahlen belegen: Der Anteil der Studienanfänger(innen) ohne Abitur oder Fachhochschulreife hat sich mit 2,1 Prozent im Jahre 2010 im Vergleich zu 2007 nahezu verdoppelt.
Zwar war in Deutschland bereits in der Langzeitperspektive zwischen 1997 und 2007 eine wachsende Nachfrage des Studierens ohne Abitur zu erkennen, allerdings nur auf niedrigem Niveau. Die aktuellen Zahlen der CHE-Studie hingegen belegen in vergangenen drei Jahren einen regerechten Boom und einen sprunghaften Aufwärtstrend bei der Nachfrage nach dem Studium ohne Abitur. Allerdings wirkt sich der Boom in den 16 Bundesländern sehr unterschiedlich aus.
Studienanfänger ohne Abitur im Bundesländervergleich
Das CHE hat die Entwicklungen in Bund, Ländern und Hochschulen näher unter die Lupe genommen. Bundesweit war in den letzten 13 Jahren ein kontinuierlicher Wachstumstrend bei der Anzahl der Studienanfänger, Studierenden und Absolventen ohne Abitur zu erkennen. Die folgende Grafik zeigt den sprunghafter Anstieg der Nachfrage: Während die Zahlen zwischen 1997 und 2007 in kleinen Schritten anstieg, war zwischen 2007 und 2010 ein regerechter Sprung zu erkennen.
In Zahlen gesprochen hat sich die Anzahl von Studienanfängern ohne Abitur bundesweit von 3.940 auf 9.241 erhöht, was einem Zuwachs von 135 Prozent entspricht! Im bundesweiten Durchschnitt hat sich der Anteil der Studienanfänger ohne Abitur von 1,09 Prozent auf 2,08 Prozent fast verdoppelt.
Zwar sind auch die Anteile der Studierenden und Hochschulabsolventen ohne Abitur bundesweit angestiegen, allerdings nicht so stark, wie die Anteile der Studienanfänger ohne Abitur. Diese Entwicklung ist jedoch nicht weiter verwunderlich, da sich die Zahlen der Studieren und Absolventen ohne Abi aus den wesentlich kleineren Kohorten speisen, die vor 2010 ein Studium aufgenommen haben.
Zu der Frage, ob Nicht-Abiturienten das Studium schneller oder öfter abbrechen, als Studierende mit Abitur, lässt sich keine fundierte Aussage treffen, da die Anzahl der Studienabbrecher auf Basis der vorliegenden Daten nicht auf die einzelnen Kohorten zurückverfolgt werden kann. Allerdings zeigt die Studie, dass die Studienabbrecherquote im deutschen Hochschulsystem allgemein mit 24 Prozent im Jahre 2008 sehr hoch ist. Dies hat sich auch durch die Einführung des Bachelor-Master-Systems nicht geändert, denn zum selben Zeitpunkt lag die Abbrecherquote im Bachelorstudium mit 25 Prozent sogar leicht darüber.
Vergleicht man die Nachfrage nach dem Studium ohne Abitur zwischen neuen und alten Bundesländern, so hat sich diese in beiden Fällen nahezu verdoppelt. Allerdings ist der Anteil der Studienanfänger ohne Abitur zwischen 2007 und 2010 in den neuen Bundesländern etwa doppelt so hoch. Mögliche Gründe hierfür könnten in der wirtschaftlichen Lage beruhen, da ein Studium ohne Abitur nur mit abgeschlossener Berufsausbildung und einer mehrjährige Berufserfahrung möglich ist. Auch die Jobaussichten nach einem abgeschlossenen Studium sind in den neuen Bundesländern aufgrund der anhaltend schlechten Arbeitsmarktsituation schwieriger, als in anderen Teilen Deutschland.
Betrachtet man die Quoten der Studienanfänger ohne Abitur nach Bundesländern, so ist eine große Spreizung zu erkennen. So war 2010 in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen (4,23 %), Berlin (3,68 %) und Mecklenburg-Vorpommern (2,19 %) eine überdurchschnittlich hohe Nachfrage nach dem Studium ohne Abitur feststellbar. Mit diesen überdurchschnittlich hohen Quoten nehmen diese Bundesländer im deutschlandweiten Vergleich die drei Spitzenplätze ein.
Das Saarland (0,38 %), Sachsen (0,60 %) und Thüringen (0,86 %) bilden hingegen die drei Schlusslichter im Bundesländergleich. Interessant ist auch die Entwicklung der Studienanfänger ohne Abitur (OA-Studienanfänger) zwischen 1997 und 2010, die in folgender Grafik aufgezeigt wird:
Im Jahre 2007 war der Stadtstaat Berlin mit einem Anteil von 2,99 Prozent noch der Spitzenreiter im Bundesländervergleich. Drei Jahre später ist der Anteil der Studienanfänger ohne Abi zwar noch mal um rund 1,7 Prozent angewachsen, dennoch belegt Berlin 2010 nur Platz zwei. Denn mit einem herausstechenden Anteil von 4,23 Prozent, was 4.134 Studienanfängern entspricht, nimmt nun Nordrhein-Westfalen den Spitzenplatz im Bundesländervergleich ein. Diese Entwicklung lässt sich vor allem mit einer sukzessiven Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten zum Studium ohne Abitur erklären, an der die FernUniversität Hagen einen großen Anteil hat.
Hamburg, der Spitzenreiter aus dem Jahre 2002, hat seitdem einen starken Abwärtstrend verzeichnet. Lag die Quote der Studienanfänger ohne Abitur 2002 noch bei 5,60 Prozent, fiel bis 2010 unter die 2-Prozent-Marke. Dies ist vor allem auf die Schließung der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) im Jahr 2005 zurückzuführen, die auf das Studium ohne Abitur spezialisiert war und Studieninteressierte aus ganz Deutschland angezogen hat.
Top 10 Hochschulen mit Studienanfängern ohne Abitur
Doch welche Hochschulen sind bei Studierenden ohne Abitur am beliebtesten? Auch mit dieser Frage hat sich die Studie des CHE beschäftigt und 33 Fachhochschulen, 16 Universitäten und 2 künstlerische Hochschulen identifiziert, die besonders hohe Studienanfängerquoten ohne Abitur aufweisen.
Die folgende Abbildung zeigt pro Bundesland die Hochschulen, die im Jahre 2010 die meisten Studienanfänger ohne Abitur zählten:
Die FernUniversität Hagen sticht mit insgesamt 2.502 Studienanfängern ohne Abitur besonders heraus. Bei dieser Zielgruppe kann sie daher durchaus als die bundesweit mit Abstand beliebteste Hochschule bezeichnet werden. Zum Vergleich: Platz zwei unter den Hochschulen, die im Jahr 2010 die meisten Studienanfänger ohne Abitur aufgenommen hat, belegt die Steinbeis-Hochschule in Berlin mit „nur noch“ 433 beruflich qualifizierten Erstsemestern. Auf Platz drei findet sich die Wilhelm Büchner Hochschule in Darmstadt mit 398 Studienanfängern ohne Abi wieder.
Die folgende Tabelle zeigt die Plätze 1 bis 10 der Hochschulen mit den meisten Erstsemestern ohne Abitur:
Hochschule | Studienanfänger ohne Abitur | Quote Studienanfänger ohne Abitur | Hochschultyp | Trägerschaft |
FernUniversität Hagen | 2.502 | 30,65 % | Universität | Staatlich |
Steinbeis-Hochschule Berlin | 433 | 37,78 % | Universität | Privat, staatlich anerkannt |
Wilhelm Büchner Hochschule Darmstadt | 398 | 37,83 % | Fachhochschule | Privat, staatlich anerkannt |
Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen | 372 | 17,31 % | Fachhochschule | Staatlich |
FOM-Hochschule für Ökonomie und Management in Essen | 254 | 8,24 % | Fachhochschule | Privat, staatlich anerkannt |
Duale Hochschule Baden-Württemberg | 221 | 2,65 % | Sonstige Hochschule ohne Promotionsrecht (Fachhochschul-status) | Staatlich |
Europäische FernHochschule in Hamburg | 224 | 25,51 % | Fachhochschule | Privat, staatlich anerkannt |
Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin | 120 | 91,60 % | Kunst- und Musik-hochschulen | Staatlich |
Hochschule Wismar | 108 | 8,42 % | Fachhochschule | Staatlich |
Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin | 99 | 3,46 % | Fachhochschule | Staatlich |
Die Top 10 Hochschulen mit den meisten Studienanfängern ohne Abitur unterscheiden sich zwar hinsichtlich ihrer fachlichen Ausrichtung, allerdings fällt bei den im Ranking führenden Hochschulen eine Gemeinsamkeit auf. So haben sich die FernUniversität Hagen, die Steinbeis-Hochschule in Berlin, die Wilhelm Büchner Hochschule in Darmstadt, sowie die Europäische FernHochschule in Hamburg auf das Fernstudium spezialisiert.
Auch die Hochschule Wismar verfügt über ein breites Fernstudien-Repertoire und bietet über ihr Tochterunternehmen WINGS seit 2004 berufsbegleitende Fernstudiengänge (Bachelor, Master, Diplom) und zertifizierte Weiterbildungen an. Die Unterrichtsform des Fernstudiums kommt vor allem berufstätigen oder zeitlich eingeschränkten Studierenden entgegen, da sie zum Lernen weder ihren Wohnort wechseln, sich an feste Vorlesungszeiten halten oder ihre berufliche Tätigkeit einschränken müssen.
Da Lebenslanges Lernen und privates Weiterbildungsengagement zunehmen wichtiger wird, bieten gut ausgebaute Fernstudienangebote einen Anreiz, sich auch ohne Abitur an einer Hochschule einzuschreiben. Dies belegt vor allem die hohe Nachfrage an der FernUniversität Hagen, welche als die größte deutsche Universität ein entsprechend breites Fächerspektrum mit Studiengängen im Bachelor-, Master- und Weiterbildungsbereich anbietet. Die Möglichkeit, per Fernstudium in Voll- oder Teilzeit zu studieren, kommt den Bedürfnissen von Studieninteressierten ohne Abitur sehr entgegen.
Zwar ist Studieren ohne Abitur an der FernUniversität Hagen schon lange möglich, allerdings wurde der Zugang zum Studium für beruflich Qualifizierte ab dem Wintersemester 2010/11 erheblich erweitert. So können Meister und vergleichbar Qualifizierte, wie z.B. IHK-Fachwirte und staatlich geprüfte Techniker unmittelbar jeden Bachelorstudiengang an der FernUni aufnehmen. Beruflich Qualifizierte mit Praxis im Ausbildungsberuf können unmittelbar in den fachlich entsprechenden Bachelorstudiengang an der FernUniversität aufgenommen werden. Und auch beruflich Qualifizierte Studieninteressierte mit Praxis außerhalb des Ausbildungsberufs haben die Möglichkeit, über ein Probestudium oder eine Zugangsprüfung den Hochschulzugang für ihren Bachelorstudiengang zu erlangen.
Die FernUni Hagen kombiniert flexibles E-Learning mit dem Besuch von Präsenzveranstaltungen in einem der zahlreichen Regional- und Studienzentren, die nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland zu finden sind. Je nach Wohnort können die Studierenden so in ihrer Nähe Literatur recherchieren, Lernveranstaltungen besuchen und Prüfungen ablegen. Für Studieninteressierte (ohne Abitur) werden zudem eine Informationsveranstaltung und studienvorbereitende Kurse angeboten.
Neben der FernUniversität Hagen konzentriert sich auch auf die Steinbeis-Hochschule Berlin ein besonders großer Anteil von Studienanfängern ohne Abitur. Die private Hochschule mit Universitätsstatus legt einen starken Fokus auf das Fernstudium und ist gemäß ihrem Leitspruch „Wissen. Transfer. Anwendung“ direkt auf berufstätige Studierende ausgerichtet. Während Abitur und Fachhochschulreife keine zwingende Zulassungsvoraussetzung darstellen, wird an der Steinbeis-Hochschule Berlin eine mindestens zweijährige Berufspraxis vorausgesetzt. Und auch eine Tätigkeit, bzw. ein Praktikum in einem Unternehmen oder einer sonstigen Organisation ist für die gesamte Dauer des Studiums zwingend erforderlich.
Eine vorläufige Zulassung an der Steinbeis-Hochschule Berlin erhält man mit Realschulabschluss oder einer gleichwertige Schulbildung, sowie einer geeigneten abgeschlossenen Berufsausbildung und danach mindestens drei Jahren Berufserfahrung im erlernten Beruf. Beruflich Qualifizierte über eine Aufstiegsfortbildung, eine Fachschulausbildung oder einen zum angestrebten Studiengang fachlich ähnlichen Beruf, z.B. Meister oder staatlich geprüfter Techniker und Betriebswirt können ebenfalls zum Studium zugelassen werden. Eine Eignungsprüfung, sowie ein vom gewählten Studiengang abhängiger, schriftlicher Test über spezielle Sprachkenntnisse sind Bestandteil der Zulassungsprüfung. Die Möglichkeit für Berufstätige und Berufserfahrene, auch ohne Abitur an der Steinbeis-Hochschule Berlin studieren zu können, erklärt auch die entsprechend hohe Quote der Studienanfänger ohne Abi, die bei etwa 38 Prozent liegt.
Auch die Wilhelm Büchner Hochschule Darmstadt, die im Top 10-Ranking den dritten Platz belegt, verfügt über gut ausgebaute Fernstudienangebote. Die technischen Fernstudiengänge können berufsbegleitend studiert und jederzeit aufgenommen werden. Der Studieneinstieg ist auch ohne Hochschulzugang (Abitur, allgemeine oder fachgebundene Fachhochschulreife) möglich.
Studieninteressierte ohne Abitur können das Studium auch dann aufnehmen, wenn sie eine vom Hessischen Kultusministerium als gleichwertig anerkannte Hochschulzulassungsberechtigung (z. B. Meister und staatlich geprüfte Techniker) besitzen. Eine weitere Zulassungsmöglichkeit besteht über ein Gaststudium und das Ablegen der Hochschulzugangsprüfung nach zwei Leistungssemestern. Voraussetzungen hierfür sind eine mindestens zweijährige, abgeschlossene Berufsausbildung, sowie eine anschließende mindestens dreijährige hauptberufliche Tätigkeit in einem zum angestrebten Studium fachlich verwandten Bereich.
Sollten die absolvierte Ausbildung oder Berufstätigkeit nicht der Fachrichtung des gewählten Studiengangs entsprechen, muss ein Nachweis über eine qualifizierte Weiterbildung einem zum Studium fachlich verwandten Bereich mit einem Umfang von mindestens 400 Stunden erfolgen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, wird nach erfolgreicher Hochschulzugangsprüfung der Status von „Gasthörer“ in „ordentlicher Student“ geändert.
Der flexible Studieneinstieg, Brückenkurse in Mathematik und Präsenz- und Prüfungstermine, die über das Jahr verteilt auch mehrmals angeboten, sorgen für ein zielgruppengerechtes Angebot für technikinteressierten Studierende ohne Abitur und erklären, warum 2010 die Hälfte aller hessischen Studienanfänger ohne Abi ein Studium an der Wilhelm Büchner Hochschule aufnahmen.
Die Beispiele der beliebtesten drei Hochschulen bei Studienanfängern ohne Abitur zeigen, dass Fernstudienangebote bei dieser Zielgruppe besonders gut ankommen. Doch wie sieht es bei den anderen Hochschulen aus, die im Jahr 2010 weniger, als 100 Studienanfänger ohne Abitur aufwiesen? Auch abseits der Top 10-Gruppe zeigt sich, dass diese Hochschulen in ihrem Bundesland dennoch zu den am meisten frequentierten beim Studium ohne Abitur gehören, da etliche von ihnen über einen hohen Anteil an E-Learning oder Blended Learning verfügen.
Doch es muss sich nicht immer um reine Fernstudienangebote handeln. Auch flexible Studienzeitmodelle sind für Studierende ohne Abitur attraktiv. Ein Beispiel hierfür ist Platz 6 des Rankings. Die FOM Hochschule für Ökonomie und Management in Essen bietet zwar kein Fern-, sondern ein Präsenzstudium an, allerdings kommt das Studienkonzept „Drei Tage arbeiten, zwei Tage studieren“ Berufstätigen sehr entgegen. Wer an der FOM studiert, nimmt an klassischen Vorlesungen teil, die den persönlichen Kontakt zu Dozenten und Kommilitonen ermöglichen.
Insgesamt stehen Studieninteressierten an der FOM drei Studienzeitmodelle zur Verfügung. Beim Abend- und Wochenendstudium finden die Vorlesungen abends und am Wochenende statt, sodass das Studium auch parallel zu Job, Ausbildung oder Praktikum durchgeführt werden kann. Alternativ kann man sich für das Tages-Studium entscheiden, bei dem man an zwei oder mehreren Tagen an der FOM studiert und die Abende vorlesungsfrei bleiben. Als dritte Möglichkeit kann man mit dem Blockmodell auch jedes Semester jeweils 10 Wochen am Stück an der FOM studieren und die restliche Zeit Vollzeit im Betrieb arbeiten.
Neben den flexiblen Studienzeitmodellen bietet die FOM durch Hochschulstudienzentren in ganz Deutschland und Luxemburg auch ein hohes Maß an räumlicher Flexibilität. Im Bundesländervergleich hat sich gezeigt, dass auch bei vielen anderen, stark nachgefragte Hochschulen beim Studium ohne Abitur ähnliche Studienzeitmodelle zu finden sind.
Gründe für den Aufwärtstrend
Die Nachfrage nach dem Studium ohne Abitur ist so hoch, wie nie zuvor. Ein Grund hierfür ist mit Sicherheit die der Vorstoß der Kultusministerkonferenz (KMK) im Jahr 2009, die bis dato sehr heterogenen rechtlichen Regelungen für das Studium ohne Abitur in den 16 Bundesländern zu vereinheitlichen und zu verbessern. In den darauffolgenden drei Jahren konnten durch den damals getroffenen Beschluss deutschlandweit deutliche Fortschritte erzielt werden. So haben 14 von 16 Bundesländern ihre Zugangsbedingungen zum Studium ohne Abitur wesentlich verbessert.
Die Umsetzung der KMK-Initiative hat in den meisten Bundesländern vor allem für zwei Personengruppen zu Erleichterungen beim Hochschulzugang ohne Abitur geführt. Zum Einen sind Personen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung und einer mehrjährigen Berufspraxis in allen 16 Bundesländern Personen mit Fachhochschulreife gleichgestellt und zur Aufnahme eines fachgebundenen Hochschulstudiums berechtigt. Zum Anderen sind Meister und beruflich ähnlich Qualifizierte, wie z.B. Fachwirte in 14 Bundesländern (mit Ausnahme von Brandenburg und Sachsen) Personen mit allgemeiner Hochschulreife gleichgestellt.
Doch trotz der übergreifenden Verbesserungen lässt eine deutschlandweite Vereinheitlichung der Zugangsbedingungen noch zu wünschen übrig. Die vielen unterschiedlichen Sonderkonditionen, Detail- und Ausnahmeregelungen in den einzelnen Bundesländern machen es Studieninteressierten ohne Abitur noch recht schwer, sich durch den Dschungel der Verordnungen zu wühlen.
Die Schaffung verbesserter Zugangsbedingungen in den Landeshochschulgesetzen stellt zwar eine wichtige Voraussetzung für den zwischen 2007 und 2010 durchschnittlich starken Anstieg der Studienanfängerquote ohne Abitur dar, ist aber nicht der einzige Grund für den Aufwärtstrend. Vielmehr ist die erhöhte Beteiligung von Berufserfahrenen an der akademischen Bildung i.d.R. das Resultat eines ganzen Maßnahmenbündels.
So hat das Thema „Studieren ohne Abitur“ auch in den Medien große Beachtung gefunden, wodurch viele Personen erst auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht wurden, die sich vorher womöglich gar nicht über diese Option bewusst waren. Auch der allgemeine „Academic Drift“ könnte zum sprunghafte Anstieg der Nachfrage beim Studieren ohne Abitur geführt haben. Bei vielen Menschen Weiterbildungsinteressierten herrscht die Befürchtung, die eigene berufliche Karriere nur noch über einen akademischen Abschluss vorantreiben zu können. Denn in der Berufswelt werden Meistertitel und andere hochqualifizierte Berufsabschlüsse nach wie vor nicht auf diesebe Stufe, wie ein Bachelorabschluss gestellt. Viele Arbeitgeber setzten bei ihren Mitarbeitern zudem privates Weiterbildungsengagement voraus. Der gefühlte Zwang oder Druck, ein akademisches Studium aufnehmen zu müssen, könnte bei Studieninteressierten ohne Abi die Nachfrage nach einer akademischen Weiterbildung verstärken. In vielen Fällen ist es jedoch der persönliche Wunsch, sich im Sinne des „Lebenslangen Lernens“ stetig weiterzubilden, ob nun aus beruflichen Gründen oder für sich persönlich.
Neben der Öffentlichkeitsarbeit und der Unterstützung durch Wirtschaftsverbände stellt auch das aktive Zugehen auf Studierende ohne Abitur seitens der Hochschulen und die Bereitschaft, geeignete Beratungs- und Studienangebote anzubieten, den zentralen Faktor dar.
Die Ergebnisse der CHE-Studien haben gezeigt, dass Institutionen, die sich intensiv um mehr Durchlässigkeit zwischen Studium und Beruf bemühen, beim Studium ohne Abitur erfolgreich sind. Dabei muss es sich nicht immer nur um Fachhochschulen oder Berufsakademien handeln, auch an deutschen Universitäten herrscht diesbezüglich eine starke Nachfrage. Ein umfangreiches Fernstudienangebot, flexible Studienzeitmodelle, sowie umfangreiche, leicht zugängliche Informationen zum Studium ohne Abitur sind wesentliche Erfolgsfaktoren der besonders nachgefragten Hochschulen. Diese haben sich auf die Zielgruppe der Studieninteressierten eingestellt und bieten berufsbegleitende und praxisnahe Studiengänge, bei denen berufliche Kompetenzen auf das Studium angerechnet werden können.
Die boomende Nachfrage nach solchen Studienangeboten zeigt, dass bei Berufstätigen, die im ersten Bildungsweg nicht die Möglichkeit hatten, das Abitur zu machen, durchaus der Bedarf, bzw. der Wunsch nach einer akademischen Weiterbildung vorhanden ist. Durch die Möglichkeit, den Großteil oder zumindest Teile des Studiums per E-Learning zu absolvieren und fehlendes Vorwissen (z.B. bei Mathematik), durch Brückenkurse auszugleichen, trägt zum Erfolg entsprechender Studienangebote bei.
Doch trotz des Hochs bei der Nachfrage nach einem Studium ohne Abitur sieht Dr. Sigrun Nickel, Projektleiterin beim CHE, noch Verbesserungspotential:
„Es zeigt sich, dass immer mehr Universitäten und Fachhochschulen die Durchlässigkeit zwischen Beruf und Studium als eine Profilierungsmöglichkeit entdeckt haben. Diese Initiativen sollten die Bundesländer im Rahmen ihrer Budgetverteilung stärker finanziell fördern. Für Studieninteressierte ohne Abitur fehlen nach wie vor ausreichend Stipendien. Hier ist auch die Wirtschaft gefordert, sich intensiver zu engagieren“.
Gerade für berufserfahrene Studierende, die nicht mehr 20 sind und durch Job und Familie auch andere Verbindlichkeiten besitzen, als Studierende, die direkt nach dem Abi ein Studium aufnehmen, ist das Thema Studienfinanzierung ein entscheidender Knackpunkt. Nach wie vor ist das Angebot an unterstützenden Fördermöglichkeiten, die spezifisch auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppe eingehen, bis auf wenige Ausnahmen (z.B. die Aufstiegsstipendien des Bundes), recht klein.
Stipendienprogramme sind i.d.R. immer noch auf den typischen Studenten, der direkt nach dem Schulabschluss ein Vollzeitstudium aufnimmt, ausgerichtet. Berufserfahrenen über 30 Jahren wird es oftmals schwer macht, in die Förderung aufgenommen zu werden. Und auch wenn das gelingt, reicht die Höhe der Fördersummen im Rahmen von Stipendien oder auch BAföG häufig nicht aus, um durch die Aufnahme des Studiums entstandenen Kosten zu decken.
Auch das finanzielle Engagement der Wirtschaft für die Zielgruppe der Studieninteressenten ohne Abitur ist schwach ausgeprägt. Dabei sollten gerade Branchen mit ausgeprägtem Fachkräftemangel bereits sein, in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter zu investieren.
Quelle: Studie des CHE „Studieren ohne Abitur: Monitoring der Entwicklungen in Bund, Ländern und Hochschulen“ (PDF)
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